Mittwoch, 13. April 2016

Darf alles!

Liebe Leserinnen und Leser,

wissen Sie, was Satire darf? Richtig, sie darf absolut alles. Damit hat Kurt Tucholsky vollkommen recht gehabt. Satire ist das Herzstück der Meinungsfreiheit und hat schon im recht finsteren Mittelalter mit klug und mutig bis gewagt arrangierten Stücken der Narren für die Belustigung (und den Widerstand) des Volkes gegen die Herrschenden gesorgt. Und genau deshalb hat sie es nicht verdient, mit lächerlichen Politpossen verwechselt zu werden, wie sie uns derzeit wieder mal als Kostprobe zur allgemeinen Ablenkung serviert wird.

Worum geht es? Natürlich um das sogenannte Schmähgedicht eines mäßig talentierten Vollpfostens, der notfalls auch als Laternenmast arbeiten könnte und in seiner zum Gähnen langweiligen Late-Night-Show besagtes Gedicht über einen noch viel weniger talentierten Doppelvollpfosten, mit allerdings reichlich Machtgeilheit und Skrupellosigkeit ausgestattet, vom Stapel gelassen hat. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in welcher der so beleidigte Möchtegernsultan der EU in einem mehr als fragwürdigen Deal die Flüchtlinge vom Hals halten soll, weil die anderen machtgeilen Pappnasen in Regierungs(un)verantwortung nicht willens und in der Lage sind, gemeinsam humane Entscheidungen zu Gunsten von Menschen in Not zu treffen.

Prompt reagiert der kleine, dicke Sultan – wie vom bleichen Laternenmast erhofft – öffentlich höchst beleidigt und erstattet sogar Strafanzeige gegen den vermeintlichen Satiriker, was dem endlich die gewünschte Aufmerksamkeit und somit auch demnächst wahrscheinlich recht ertragreiche Verträge beim Sender, und ich befürchte, auch über ein Buch oder Ähnliches, beschert. Nicht dass ich es dem Fernsehkasper Böhmermann in irgendeiner Form neide, aus der Sache Kapital zu schlagen. Aber spätestens dann, wenn bestimmte Leute anfangen, dich zu loben, sollten sämtliche innere Alarmglocken anfangen zu schrillen, wenn du noch den Hauch von Selbstachtung und Stil besitzt.

Diese Situation ist dann erreicht, wenn der Chef von Deutschlands erfolgreichstem Fischeinwickelpapier „Bild“, Mathias Döfner, auf einer Schleimspur daher gerutscht kommt und sich mit den Worten anbiedert, dass er doch bei dem Gedicht „laut gelacht habe“ und er dann mit all seiner intellektuellen Geisteskraft erkennt, dass es wohl Sinn des Gedichtes sei – wenn er es richtig verstanden hätte – dass es „geschmacklos, primitiv und beleidigend“ sein solle. Angesichts dieser wirklich erstaunlich weisen Erkenntnis des Journalisten wird mir augenblicklich klar, wie so manche Schlagzeilen in dem Schmierblättchen entstehen.
Ich frage mich jedoch, wie die Springerpresse wohl reagiert hätte, wäre das „Opfer“ des Gedichtes kein türkischer Präsident sondern die heißgeliebte und noch immer hofierte Kanzlerin gewesen? Dann hätte man von Seiten Bild & Co. aber moralinsauer mit allen Kanonen auf den Spatz Böhmermann geschossen und es wäre wieder mal klargeworden, wie sich Meinungsfreiheit in diesem Land definiert. Ist aber zum Glück nicht passiert, denn er hat ja den „Richtigen“ beleidigt.

Ins gleiche Raster der Heuchelprofis fallen die ganzen formalempörten Aussagen jener Politiker, die Erdogan Demokratie beibringen wollen, aber eben noch Griechenland für seine Volksabstimmungen zum Thema Sparkurs heftig kritisiert hatten und sich z.B. über die angeblich obszöne Geste des ehemaligen Finanzministers Varoufakis aufregten – übrigens auch eine Inszenierung von Böhmermann; zumindest behauptet er das. Da passt der Spruch vom Glashaus und den Steinen wieder mal wie der Arsch auf den Eimer.

Ganz schlimm aber wird es, wenn dann zu allem Übel auch noch Dieter Hallervorden, der inzwischen senile Weltmeister im Unterbieten von Humor-Niveau (Palim Palim), mit einem Lied aufwartet, in dem er förmlich um Beachtung bettelt und Erdogan auffordert, ihn doch auch zu verklagen. Der ergraute Fratzenaugust der Nation, der seit ungefähr 20 Jahren tatsächlich glaubt, politisches Kabarett zu machen, versucht mittlerweile auf jeden Zug aufzuspringen, dem er noch irgendwie hinterherlaufen kann – und da kommt dieser aktuelle Pseudoskandal gerade recht. „Ich sing einfach was du bist – ein Terrorist“, trällert Hallervorden in gewohnt platter Manier über Erdogan und hofft dabei, dass er möglichst schnell vom türkischen Despoten bemerkt und ebenfalls verklagt wird, damit er sich dann für den kurzen Moment der Verfallszeit medialen Öffentlichkeitsinteresses als Verfechter der freien Meinungsäußerung im Scheinwerferlicht sonnen kann – was für eine erbärmliche Vorstellung.

Der Meckerator meint: Satire darf alles – Selbstdarstellung und Heuchelei sollten lieber die Fresse halten!

Herzlichst
Ihr Meckerator